Dem Phänomen Wagner und seiner ungebrochenen Aktualität auf die Spur zu kommen - dies ist das Ziel eines großangelegten Projektes unter dem Motto „WagnerWorldWide 2013“, das aus Anlass von Richard Wagners 200. Geburtstag von der Universität Bayreuth (Forschungsinstitut für Musiktheater, Prof. Dr. Anno Mungen), der University of South Carolina (Prof. Dr. Nicholas Vazsonyi), dem Institut für Musikwissenschaft der Universität Bern sowie dem Shanghai Conservatory of Music organisiert wird. Weltweit - sprich: „WorldWide“ - soll es darum gehen, Wagners Schaffen und dessen immense Nachwirkung zur Diskussion zu stellen.
„WagnerWorldWide 2013“ stellt fünf Themenfelder bereit, welche am Beispiel Wagner die Reflexion auf Probleme und Fragestellungen der heutigen Gesellschaft ermöglichen. Die Themen sind:
- Umwelt und Natur
- Geschlecht und Sexualität
- Medien und Film
- Geschichte und Nationalismus
- Globalisierung und Märkte
In Ringvorlesungen, Konferenzen und Workshops zu diesen Aspekten wird an ausgewählten internationalen Universitäten von 2011 bis 2013 Wagners weltweiter Bedeutung für das 21. Jahrhundert nachgegangen. Die Universität Bayreuth präsentierte in einer Ringvorlesung im Wintersemester 2011/12 unter dem Motto „WagnerWorldWide:Bayreuth“ Vorträge zu den genannten Themen (www.youtube.com/user/WagnerWorldWide); im Januar/Februar 2013 wird an der University of South Carolina eine Konferenz zu „WagnerWorldWide:America“ abgehalten. Den Abschluss bildet vom 12. bis zum 15. Dezember 2013 die Konferenz „WagnerWorldWide:Reflections“ am Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth im Schloss Thurnau. Ein „Call for Papers“ sowie weitere Informationen und Links finden sich auf folgenden Websites:
- www.cas.sc.edu/www2013/
- www.fimt.uni-bayreuth.de/de/research/Projekte/b_2010_www2013/index.html
Die auf Europa fokussierte Konferenz („WagnerWorldWide:Europe“) findet vom 6. bis zum 10. November 2012 an der Universität Bern statt. Die Konzeption der Tagung liegt in den Händen von Prof. Dr. Arne Stollberg, PD Dr. Ivana Rentsch und Prof. Dr. Anselm Gerhard.
Aus der Reihe der Themenfelder, die das Gesamtkonzept von „WagnerWorldWide 2013“ bilden, werden in Bern besonders zwei Bereiche im Zentrum des Interesses stehen:
- Geschichte und Nationalismus
- Globalisierung und Märkte
So gegensätzlich die Phänomene Nationalismus und Globalisierung auf den ersten Blick auch wirken mögen, so sehr erscheinen sie bei näherer Betrachtung doch als zwei Seiten ein und derselben Medaille. Was - nach Wagners eigener Intention - ursprünglich ein „Monument des deutschen Kunstgeistes“ war, ließ sich nahezu unverändert für andere Nationalbewegungen adaptieren. Umgekehrt erweist sich, was mit Blick auf Wagner als „deutsch“ gepriesen wurde, in seiner Herkunft bisweilen als gänzlich „undeutsch“, so dass das „Nationale“ immer wieder die Spuren (oder Narben) einer ideologischen Konstruktion offenbart, die zwar in jedem Land anders, aber möglicherweise auf der Grundlage ähnlicher Mechanismen vonstatten ging.
Um das explosive Spannungsfeld zwischen Nationalismus und Globalisierung überhaupt sinnvoll beleuchten zu können, ist eine größtmögliche Weitung der Perspektive sowohl in zeitlicher als auch in methodischer Hinsicht unbedingt erforderlich. Erst im Wissen um die Nationalismus-Diskurse des 19. Jahrhunderts lässt sich die Position Wagners genauer bestimmen: Gegen die unsinnige Stilisierung des deutschen Musikdramatikers zum voraussetzungslosen „Messias“ muss es darum gehen, Werk und Rezeption in ihren kulturhistorischen Kontext einzuordnen. Immerhin lässt die Virulenz der damaligen Nationalbewegungen und revolutionären Gruppierungen die Frage nach dem Eigenen und dem Fremden als eines der dringendsten Anliegen des 19. Jahrhunderts in Europa erscheinen - mit Spuren bis in die Gegenwart hinein.
Dass sich die Gewichte nach den Erfahrungen der beiden Weltkriege, dem Kalten Krieg und der Wende von 1989 gravierend verschoben haben und insbesondere in Deutschland ein historisch begründetes Misstrauen gegen jede Form nationaler Gesinnung herrscht, legt es nahe, bei der Frage von Nationalismus und Globalisierung dezidiert zwischen einer historischen und einer heutigen, „aktuellen“ Perspektive zu unterscheiden. Dabei wird die Frage in den Blick zu nehmen sein, ob das Musiktheater - speziell, aber nicht ausschließlich dasjenige Wagners - heute als ein globalisiertes Phänomen zu betrachten ist, das keine nennenswerten „nationalen“ Implikationen mehr kennt, oder ob sich nicht neuerdings (wie gerade in Ungarn zu beobachten) sogar wieder nationalistische Kräfte des Theaters als einer politisch wirksamen Institution bemächtigen.
Neben dem Politischen sind aber auch konkrete Probleme der Aufführungspraxis anzusprechen: Gibt es heute einen globalisierten „Wagner-Stil“, oder haben im Residuum bestimmter Interpretationstendenzen auch spezifisch nationale Musiziertraditionen überlebt? Kann eine vom Sprachduktus herkommende „Wagner-Gesangstechnik“, wie sie sich der Komponist selbst erträumte, unter den Vorzeichen eines internationalisierten Sängermarktes überhaupt sinnvoll realisiert werden? Welche Entwicklungen sind hier zu beobachten? Klingt ein „globalisierter“ Wagner im Opernhaus anders als ein „nationaler“?
Kontakt: info@musik.unibe.ch