Klingendes Selbstbild und «Schweizer Töne».

Das vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Projekt widmet sich der Rolle von Musik im Prozess nationaler Identitätsbildung in der Schweiz des 19. Jahrhunderts. Kern des Projekts bildet die Frage, ob und inwiefern Musik als Trägerin nationalen Gedankenguts komponiert und rezipiert wurde – sei es „als tönender Ausdruck“ „einer ethnischen Seelensubstanz“ in Anlehnung an Herders Prinzip des „Volksgeistes“, sei es durch eine bewusste Funktionalisierung von Musik zum Zwecke der Konstitution und Repräsentation einer kulturellen oder nationalen Identität, die keineswegs real existent sein muss, sondern auch bloss imaginiert sein kann. Ebenfalls thematisiert wird der interpretierende musikalische Umgang mit Sujets aus der schweizerischen Geschichte, wie er bekanntlich nicht nur von inländischen, sondern auch von zahlreichen ausländischen Komponisten gepflegt worden ist.

Das Gesamtprojekt gliedert sich in zwei Subprojekte, die von zwei Doktorierenden bearbeitet werden und jeweils Teilaspekte von Innen- und Aussenwahrnehmung der Schweiz beleuchten.

  1. In welchem Ausmass Musik bei der Herausbildung eines schweizerischen Selbstverständnisses eine Rolle spielte, soll über das komponierte und gespielte Werkrepertoire hinaus vor allem im Kontext der Organisation und Institutionalisierung des Schweizer Musiklebens, aber auch im Zusammenhang mit schulischen Reformen untersucht werden, welche dem Musikunterricht im Rahmen der Volkserziehung eine herausragende Rolle einräumten. Aufschlussreiche Erkenntnisse verspricht eine Auseinandersetzung mit Hans Georg Nägeli, der als Komponist, Konzertveranstalter, Pädagoge, Bildungspolitiker und Präsident diverser musikalischer Vereine das kulturelle Leben der Schweiz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf ganz entscheidende Weise mitgeprägt hat. Seine theoretischen Ansichten über das gesellschaftsbildende Potential des Mediums Musik, das Nägeli in der Praxis auf vielfältige Weise als solches zur Wirkung zu bringen versucht hat, skizzieren einen möglichen Weg, wie Musik in der Lage sein kann, Menschen mit Menschen zu verbinden und eine Gemeinschaft zu konstituieren, die ein bestimmtes Volk, die „europäische Zeitgenossenschaft“, letztendlich vielleicht sogar die „gesamte Menschheit“ zu umschliessen vermag.
  2. Eine musikalische Auseinandersetzung mit der Schweiz wurde jedoch nicht nur über „innere“ Faktoren geprägt. Als ebenso wirkungsmächtig können Zuschreibungen von „aussen“ angenommen werden. Im 19. Jahrhundert befassten sich zahlreiche Komponistinnen und Komponisten ausserhalb der Schweiz in ihren Werken mit Topoi, Sujets und musikalischen Ausdrucksformen, die mit typisch schweizerisch empfundenen Elementen in Verbindung standen. So vielfältig die Gründe eines Komponisten für die Verarbeitung schweizerischer Elemente sein konnten, so vielschichtig waren auch die Deutungsmöglichkeiten solcher Werke durch Rezipienten_innen innerhalb der Schweiz. Es gilt deshalb zusätzlich zu hinterfragen, ob und inwiefern sich im genannten Untersuchungszeitraum Einflüsse und Zuschreibungen von „aussen“ auf die Selbstwahrnehmung auswirken konnten.

Finanzierung und Projektdauer

Das Forschungsprojekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt. Es startete im Januar 2013 und ist auf eine Dauer von drei Jahren ausgelegt.

Projektleitung

Forschende