(Dis)Connected by Wire. Music Broadcasting via Telephone as an
“Audible Infrastructure” between 1870 and 1930
This project deals with music transmissions via telephone lines between 1870 and 1930. Before the telephone was used for one-to-one communication, its communicative potential was tested, explored, and demonstrated by real-time transmissions of music performances at opera and concert houses. Having started in the US in the late 1870s, telephonic broadcasting could later be observed in Europe. In some countries, this broadcasting practice was commercialized, enabling subscribers to listen to live music from home or in public places. The PhD project studies the phenomenon globally by examining archival material and focusing on two aspects: First, it asks how these transmissions could train a listening mode and create a peculiar experience to perceive concerts and opera performances from afar. The project investigates how telephonic broadcasting shaped listening, challenged and expanded traditional imaginations of operatic experience, and brought up liveness by applying theories from Sound Studies, Popular Music Studies, and Media Studies. Second, the project proposes to examine the phenomenon through the lens of infrastructural concepts. Infrastructures at that time tried to shrink distance and, thus, to reach and connect people to distant places. The idea of music consumption by telephone wires was intended to provide broader access to opera and concerts and lower barriers, such as in Munich/Bavaria. By conceptualizing the transmissions as an “audible infrastructure” (Devine/Boudreault-Fournier 2021), the project not only analyses this specific infrastructure of music but also asks how music was discovered in its infrastructural dimension at that time, as a resource that could operate on a supply network.
Verdrahtete Geschichte. Telefonische Musikübertragungen als
«audible infrastructure» 1870–1930
Ende des 19. Jahrhunderts ist eine eigentümliche Form des Aufführungserlebens zu beobachten: das Hören einer Live-Aufführung per Telefon. Bis eine ausreichende Hörqualität und Infrastruktur erreicht waren, die das Telefon zum Verständigungsmittel avancieren ließ, wurde das kommunikative Potenzial des Telefons nämlich anderweitig getestet, exploriert und schließlich auch strategisch genutzt. Ab den 1870er Jahren und zum Teil bis in die 1940er Jahre fanden organisierte Übertragungen von Live-Konzerten und Opernaufführungen über Telefone in vielen europäischen und US-amerikanischen Städten statt. Dabei zeichnen sich zwei Varianten ab: Einerseits wurden Aufführungen bis etwa 1900 auf Technikausstellungen und in wissenschaftlich-technischen Institutionen telefonisch übertragen, um die Funktionsweise des Telefons in einer Experimentalsituation zu demonstrieren. Andererseits machten kommerzielle Projekte in Frankreich, Bayern, Italien, Grossbritannien und Budapest aus den Übertragungen Geschäftsmodelle, indem Abonnement-Systeme für das Hören zu Hause und im öffentlichen Raum eingerichtet wurden.
Das Dissertationsprojekt möchte dieses bisher noch wenig bekannte Phänomen auf den Schnittpunkten von Musik-, Theater-, Medien- und Technikgeschichte anhand verschiedener Quellentypen aufarbeiten. Die historiographische Idee ist, das Phänomen mit seinen verschiedenen Schauplätzen aspektorientiert im Sinne einer geteilten und gleichzeitig verlaufenden Geschichte mit unterschiedlichen Akzentuierungen zu thematisieren. Dabei soll das Phänomen aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden: Zum einen möchte die Untersuchung die Hörer*innen und die Hörpraxis ins Zentrum stellen und im Kontext hörgeschichtlicher Forschung danach fragen, inwiefern dieses Medienarrangement der telefonischen Musikübertragungen einen bestimmten Hörmodus konditionierte. Diese Perspektive wird theoretisch grundiert durch Konzepte aus den Sound Studies und den Popular Music Studies, die die Auswertung der Quellen erkenntnisleitend stützen. Zum anderen untersucht das Projekt das Phänomen als «audible infrastructure» (Boudreault-Fournier/Devine 2021). Dadurch soll eine Perspektive eröffnet werden, die die Verdrahtung für die Übertragungen in ihren Potenzialen der Distribution, Zirkulation und Vernetzung begreift. Die Telefondrähte brachten Aufführungen (und Aufführungskultur) in Umlauf, lösten Oper und Konzert von ihren angestammten Räumen und erreichten damit – einem musikalischen Versorgungssystem gleich – zum Teil Bevölkerungsgruppen, die sonst keinen Zugang zu Live-Aufführungen hatten.